Experteninterview – Wie innovationsfähig sind deutsche Unternehmen?

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Experteninterview  mit Prof. Dr. Christian Lehmann: „Unternehmen, die auch künftig erfolgreich bleiben wollen, müssen innovationsfähiger werden“ sagt Prof. Dr. Christian Lehmann. Um dieses Ziel zu erreichen ist mit dem neuen internationalen Standard ISO 56002 erstmals eine wegweisende Managementvorlage entstanden. Das Innovationsmanagementsystem ist eine Blaupause, die Unternehmen helfen soll vielversprechende Ideen zu finden, zu entwickeln und strukturiert in Wertschöpfung umzusetzen. Kreativität und Innovation wurden dafür in einem Standard zusammengeführt. Das LI Food Journal hat mit Prof. Dr. Christian Lehmann über das Managen und Gelingen von Innovationen gesprochen. Er ist einer der Pioniere in der Reifegradmessung von Innovationsmanagement-Strukturen auf Basis des neuen ISO-Standards 56002.

Woher wissen Sie denn, wie gut es um das Innovationsmanagement in deutschen Unternehmen steht? Wie kann man so etwas Komplexes wie ein Innovationsmanagement messen?

Lange Zeit war es enorm schwer den Begriff Innovationsmanagement überhaupt zu fassen. Die Herausforderung bestand darin, Innovationsfähigkeit und die notwendigen Voraussetzungen dafür auf betrieblicher Ebene zu managen und nicht, wie sonst häufig in Rankings üblich, makroökonomisch abzubilden und anschließend auf die betriebliche Realität zu schließen. Das hat sich 2019 geändert, als der neue ISO-Standard 56002 mit dem Titel „Innovationsmanagementsysteme“ erschienen ist. Seitdem haben wir mehr als 2000 Mitarbeitende aus deutschen Unternehmen befragt und das Innovationsmanagement „gemessen“. Darunter waren ganz kleine Unternehmen und Weltkonzernen. Das Ergebnis deckt sich jedoch nicht mit dem Selbstverständnis der deutschen Wirtschaft.

Zu welchem Ergebnis kamen Sie denn mit der Befragung? Wie steht es um das Innovationsmanagement in deutschen Unternehmen?

In Schulnoten ausgedrückt bekommt die deutsche Wirtschaft in Sachen Innovationsfähigkeit nur eine 3. Im internationalen Vergleich ist das ein eher schlechtes Ergebnis. Verantwortlich dafür sind vor allem drei Dinge:

Eine „falsche Brille“: Der Blick nach außen ist zu sehr geprägt von Risiken, nicht aber von den Chancen, die sich zum Bsp. aus Kooperationen ergeben.

Gewusst wie: Oft ist ein Interesse, aber kein ernsthaftes Bemühen des Managements vorhanden, Innovation systematisch und nachhaltig im Unternehmen zu verankern.

Gut in Prozessen: aber schlecht in Strukturen und in Sachen eigene Haltung. Viel Angst und viel Unwissen, wenig Operationalisierung.

Innovationen brauchen ein betriebliches Ökosystem, dessen Auf- und Ausbau ebenso Gegenstand des Innovationsmanagements sind, wie die Steuerung konkreter Projekte.

Man muss sich Innovationsmanagement vorstellen wie ein Rezept. Es gibt eine Vielzahl von Zutaten. Erst gemeinsam werden sie zu einem besonderen Geschmackserlebnis. Alles hängt zusammen und es reicht eben nicht, nur den Reis perfekt zu kochen, wenn man ein Indisch-Curry machen will. Genauso strukturiert, organisiert und gewichtet ein ganzheitliches Innovationsmanagement die Umsetzung guter Ideen und Erkenntnisse und sorgt so für Erfolg und letztlich Wertschöpfung. Wir kennen dieses Vorgehen aus anderen Themenfeldern. Denken Sie an Risiko-, Projekt- oder Qualitätsmanagement.

Warum fällt es den Unternehmen so schwer, die Beschäftigung mit Innovationen als festen Bestandteil des Arbeitsalltags zu etablieren?

Es gibt eben einen großen Unterschied zwischen Verstehen und Handeln. Aktuell sind viele Unternehmen noch dabei die Schuld für das eigene Nichtgelingen an anderer Stelle zu suchen. Beliebt ist dann immer der Verweis auf deutschen Regulierungseifer als Verhinderungsgrund. Eine Reihe aktueller Studien haben sich umfassend mit der Frage beschäftigt, warum es Innovationen insgesamt so schwer haben. Die Ergebnisse sind spannend. Regulatorik ist ein Randthema. Die häufigsten Gründe sind: unstrukturierte Prozesse, Widerstand gegen Wandel, geringe Innovationskultur, mangelhafte Ressourcenausstattung und unterschätzte Risiken und Chancen.

Was genau können Unternehmen denn tun, um innovationsfähiger zu werden?

Als Wissenschaftler und mit Blick auf unsere Daten empfehle ich zunächst fünf Handlungsfelder. Klare und kommunizierte Innovationsziele nach innen und außen. Viele unserer Top-Performern haben eine Innovationsvision und klare Innovationsziele.

Mehr Zeit für Innovation: 2/3 der Befragten haben dafür zu wenig. Googles 20%-Regel ist legendär, nach der alle Beschäftigten ein Fünftel ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte und Ideen nutzen können. Aus diesem Pool stammt ein beachtlicher Teil der Produktinnovationen der letzten Jahre.

Innovation lernen: Für fast 50% der Befragten gibt es nicht genug Know-how für Innovationen im eigenen Unternehmen.

Innovation messen: Innovation braucht Leistungsbewertungskriterien. Wir empfehlen eine Handvoll Kennzahlen und KPIs, darunter ganz harte wie ein Return on Investment aber auch prozessorientierte, wie die Beteiligung und Diversität der Mitarbeitenden.

Den IST-Stand überprüfen: Innovationsmanagement braucht eine Standortbestimmung. Eine Reifegradmessung auf Basis des ISO 56002 ist dafür unverzichtbar.

Als Praktiker sage ich: Ein gutes Innovationsmanagement ist ein strukturiertes und ganzheitliches Innovationsmanagement. Nur wenn alle in der ISO 56002 beschriebenen Dimensionen und Handlungsfelder miteinander korrespondieren entsteht ein wertschöpfender Innovationsprozess. „Freiräume“ mit schicken Möbeln zu bauen und Mitarbeitende in Kreativmethoden zu schulen ist gut. Wenn es aber dabei bleibt, ist es eher Innovationstheater. Management ist was anderes. Genau in dieser Ganzheitlichkeit, den vielen Einzelteilen und dem langen Atem, den man für deren Auf- und Ausbau braucht, liegt die eigentliche betriebliche Herausforderung. Innovationsmanagement ist kein Fast Food, es braucht Zeit.

Wie geht es aus Ihrer Sicht mit der ISO-Norm weiter? Was haben wir von ihr zu erwarten?

Der internationale Standard für Innovationsmanagement ist meines Erachtens weltweit derzeit die beste Vorlage für die Entwicklung geeigneter Strukturen in Unternehmen. Sie ist anerkannt, global gültig und wird weltweit überall gleichermaßen gelebt. Dass das Deutsche Institut für Normung bereits kurz nach der Veröffentlichung im Herbst 2019 eine deutsche Übersetzung vorgelegt hat (ISO 56002:2020) ist sicher kein Zufall. Unternehmen müssen nun anfangen systematisch damit zu arbeiten.

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Prof. Dr. Christian Lehmann ist Ökonom an der Hochschule Hannover und Gründer der Analyseplattform innotonic mit der Innovationsmanagementstrukturen in Unternehmen auf Grundlage des internationalen Standard ISO 56002 bewertet werden.

 

Über den Autor

Hajo Knoche

FILMFREUND, FUSSBALLER, MITDENKER

Hajo Knoche ist als Geschäftsführer bei innotonic unser Mann im Hintergrund. Er ist mit seiner Geburtsstadt Hannover eng verbunden, denn hier hat er nach dem Abitur auch seine Ausbildung zum Versicherungskaufmann bei der Allianz Versicherungs-AG und sein Studium an der Hochschule Hannover im Bereich Public Relation abgeschlossen. Zudem hat er bei mehreren Versicherungsunternehmen in Hannover gearbeitet und war schon während des Studiums in der Unternehmenskommunikation der VGH Versicherungen, in der Öffentlichkeitsarbeit mit besonderem Fokus auf die interne Kommunikation und Eventmanagement, tätig. Er deckt dadurch eine Vielzahl diverser Themen und Interessen ab. Seit 2018 ist er zudem bei der Innovationseinheit FUTUR X als interdisziplinärer Innovationsnetzwerker angestellt und hat einen starken Fokus auf die Start-up-Szene in Niedersachsen gelegt.

Er ist ein Film- und Serien-Nerd und wünscht sich mehr Zeit zum Zeichnen und Malen. Seine Interessen – neue Ideen, Innovationen, Technik und Fussball –  lassen dafür zu selten Zeit.

hello@innotonic.de

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