ZEIT-Interview: Christian Lehmann über gutes Innovationsmanagement (vom 02.02.2023)

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„Innovation ist gleich Kreativität mal Management mal Glück“

(Christian Lehmann, Professor für Entrepreneurship an der Hochschule Hannover)

ZEIT für Unternehmer: Herr Lehmann, verschläft der Mittelstand in Deutschland die Zukunft? 

Christian Lehmann: Obwohl ich ein Freund des gesunden Schlafes bin, muss ich ganz klar sagen: Ja! Der deutsche Mittelstand tut sich schwer damit, ein eigenes Innovationsmanagement aufzubauen und zu betreiben. Seine Zukunft nicht zu verschlafen bedeutet aus betriebswirtschaftlicher Sicht, das Fortbestehen des Unternehmens in einer unsicheren Umwelt zu gestalten. Das dafür nötige Innovationsmanagement muss Bestandteil der Unternehmensstrategie sein. Es muss auf das Neue vorbereiten und helfen, es zu gestalten. 

Sorgen die gegenwärtigen Krisen dafür, dass Unternehmerinnen und Unternehmer sich mehr Gedanken um neue Produkte machen – oder hemmen sie den Innovationseifer eher noch? 

In unsicheren Zeiten riskieren Unternehmen weniger. Sie sichern das Bestehende und warten ab. Dieses Verhalten spricht natürlich gegen Innovationen. Krisen und die damit verbundenen Veränderungen, wie beispielsweise in Lieferketten, bieten gerade an den Schnittstellen aber auch neue Chancen. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen seit Anfang 2020 abwarten. Sie sind – um im Bilde zu bleiben – jetzt ausgeschlafen. In der Praxis nehme ich vielerorts einen gewissen Innovationsdruck wahr. 

Laut Ihrer Analysen schneiden deutsche Unternehmen im Innovationsmanagement nur befriedigend ab. Was genau machen die falsch? 

An drei Dingen mangelt es: dauerhaften Strukturen, klaren Innovationszielen und Zeit. Es genügt nicht, mit agilen Teams und Kreativmethoden gute Projekte durchzuführen, wenn in der Linie kein Freiraum für die Umsetzung besteht und sich dort niemand verantwortlich fühlt. Viele Unternehmen behandeln Innovationsprojekte zu Recht als Testballons. Wir sehen in den Unternehmen die wildesten Spreadsheets, mit denen Innovationsvorhaben bewertet werden. Neben Zeit fehlen vor allem die Methoden und das Wissen darüber, wie man ein Innovationsmanagement aufbaut. Für unsere Analyse nutzen wir die ISO-Norm 56002 zu Innovationsmanagementsystemen. Wir haben daraus nach wissenschaftlichen Kriterien ein Assessment entwickelt, die innoventur. Damit können wir die gesamten betrieblichen Innovationsbestrebungen abbilden. Das ermöglicht uns einen realistischen Blick in den Maschinenraum deutscher Unternehmen. 

In einer aktuellen Umfrage unter Leserinnen und Lesern von ZEIT für Unternehmer ist „Regulierung“ die meistgenannte Barriere für Innovationen; 54 Prozent der Befragten fühlen sich dadurch ausgebremst. Nur 18 Prozent sehen in der mangelnden Bereitschaft der Chefinnen und Chefs ein Hindernis. Sind Bürokratie und Regulierung hierzulande wirklich so ein großes Problem – oder für viele Chefinnen und Chefs vielleicht auch eine ziemlich bequeme Ausrede, hinter der man sich verstecken kann? 

Bürokratie und Regulierung nerven, keine Frage. Für mich sind sie aber erst der zweite Schritt. Erst einmal brauche ich etwas, das reguliert werden muss. Die betriebliche Bereitschaft zur Innovation kommt vor der Markteinführung und den Formularen. Sie wegen der Formulare nicht zu denken widerstrebt mir. Unsere Daten zeigen ein starkes Wollen in den Führungsetagen. Aber in kaum einem Unternehmen gibt es eine Innovationsagenda, und in keiner von uns befragten Firma ist diese allen Mitarbeitenden bekannt. Dass dem Wollen oft keine Taten folgen, liegt auch daran, dass Managerinnen und Manager nicht wissen, wie man ein Innovationsmanagement aufbaut. Und das ist schade, denn es gibt mit der ISO 56002:2019 eine 1a-Bedienungsanleitung. 

Nur einer von vier Befragten würde laut unserer Befragung einen lukrativen Auftrag ablehnen, um Kapazitäten für Forschung und Entwicklung freizuhalten. Ein Fehler – oder eine gesunde Einstellung?

Solche Situationen kennt jedes Unternehmen! Zum Glück ist es nur ein Ausschnitt, ein Einzelfall. Auf Dauer würde ich mein Personal aufstocken, um den Auftrag anzunehmen und innovativ zu sein. Was ich den deutschen Mittelständlern raten würde, lässt sich gut in einer Gleichung ausdrücken: Innovation ist gleich Kreativität mal Management mal Glück. Dabei ist das Management am ehesten beeinflussbar. Hier sollten deutsche Mittelständler ansetzen. 

Wie sieht gutes Innovationsmanagement in einem mittelständischen Unternehmen denn aus? 

In den innovativsten – und übrigens auch den erfolgreichsten – 15 Prozent unserer Unternehmen ist Innovationsmanagement Chefsache und über verantwortliche Personen in den einzelnen Bereichen verankert. Projekte finden sich im Innovationsportfolio wieder und haben veränderungsbereite Mitarbeitende, Instrumente und vor allem Zeit. Kooperationen bringen frischen Wind und neue Perspektiven, Fehler werden eher gefeiert als versteckt. 

Christian Lehmann ist Professor für Entrepreneurship an der Hochschule Hannover und Gründer des Start-ups innotonic, mit dessen Analysetool Unternehmen auswerten können sollen, wie sie mit ihrem Innovationsmanagement aufgestellt sind.  

Über den Autor

ZEIT-Interview: Christian Lehmann über gutes Innovationsmanagement (vom 02.02.2023)

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